Die Muße ist kein Müßiggang

Das Jahr 2018 ist noch gar nicht alt, aber es sind heute bereits 23 Tage verstrichen, die wie im Flug vergangen sind. Vor Weihnachten hatte ich kaum Zeit, weil ich mit Geburtstagen, Weihnachtsvorbereitungen und der Steuer beschäftigt war. Am 2. Januar habe ich wieder gearbeitet und eine Woche später waren auch die Ferien der Kinder vorbei. Aufstehen, arbeiten, Essen kochen, Hausaufgaben, einkaufen, waschen, putzen, schlafen, aufstehen und ständiges Auf-die-Uhr-schauen.

Ich bin ein Frühaufsteher und mag meinen Alltag. Ich liebe meine Kinder und meinen Mann, ich genieße meine Arbeit und mache gerne den Haushalt. Wenn ich ab und zu selbst noch zum Training komme, bin ich ausgeglichen und kann auch mal darüber hinweg sehen, dass sich unser Hund mit Dreckspfoten ins frisch gemachte Bett legt.

Dennoch – heute ist der 23. Januar und ich habe es noch nicht geschafft, einen Beitrag zu schreiben und das Neue Jahr zu begrüßen. Ideen waren da, aber mir fehlte die Zeit. Verpflichtungen haben sich in meine freie Zeit gedrängt und erhielten den Vorzug.

Der Alltag steckt voller Dinge, die zu tun sind. Die To-do-Liste scheint unendlich lang. Ich beneide meine Kinder um ihre Langeweile. Langeweile ist nicht negativ, beflügelt sie doch unsere Kreativität. Mir ist viel zu selten langweilig. Wobei ich mich hier nicht beklagen will. Im Gegenteil, mein Leben ist mehr als ausgefüllt und ich habe immer noch genug Zeit für mich.

Aber es gibt noch so Vieles, was ich gerne machen würde, wofür mir jedoch die Zeit fehlt. Neben den To-dos sollte einer „To-Want-Liste“ ebenso viel Wichtigkeit zugesprochen werden. Es gab eine Zeit, da wusste ich noch nicht einmal mehr, was ich überhaupt noch gerne machen möchte, weil ich keine Zeit hatte, darüber nachzudenken.

Die Zeitung DIE ZEIT hat mich oft gefragt, warum ich mein Probeabo beenden will. Meine Antwort war immer: „Ich habe keine Zeit, zu lesen.“ Vielleicht hätte ich mir die Zeit einfach nehmen müssen.  Ich hätte lesen können, statt den Fernseher einzuschalten, auf Facebook Belanglosigkeiten zu verfolgen oder Kurznachrichten zu lesen.

Es gibt Zeiträuber, die sich in unseren Alltag mischen und uns unsere freie Zeit stehlen, in der wir in Ruhe unseren Interessen hätten nachgehen können: Muße! Die Kombination aus freier Zeit und Ruhe klingt zu verführerisch. Würde sie mir auf der Straße begegnen, würde ich mich ihr sofort hingeben. Es ist die Kür unseres Lebens und wird von der Pflicht ausgestochen, weil sie nicht zuletzt dem Sprichwort nach einer unumstößlichen Reihenfolge unbeirrt folgt: Erst die Pflicht, dann die Kür, erst die Arbeit, dann das Vergnügen – eine To-Want-Liste gibt es nicht. Die Not-To-Do-Liste, die manche aus dem „Känguru-Manifest“ kennen könnten, ist lediglich eine Kontra-Position, die das Känguru einnimmt. Das Känguru resigniert und feiert das Nichts-Tun. Mit dem Verwirklichen eigener Interessen hat das nichts zu tun.

Pflicht ist müssen, Muße die Kür. Solch konträre Bedeutungen können gleiche Wortstämme kaum innehaben. Aber ich bin weder eine Etymologin noch eine Linguistin. Mir ist nur aufgefallen, dass ich in letzter Zeit wenig Muße hatte, zu schreiben. Dabei wollte ich euch von Spartakus berichten, ein Ballettstück, zu dem ich kürzlich von meiner Freundin eingeladen worden bin. Es war ein toller Abend! Wir hatten einen Tisch für die Pause reserviert und ich durfte einen meiner Ballettlehrer auf der Bühne bewundern – mit meinem funkelnagelneuen Fernglas, welches mir meine Schwiegermutter zum Geburtstag geschenkt hat, mit dem man nicht nur jede Schweißperle auf der Stirn der Tänzer glitzern sieht, sondern welches auch etwas unauffälliger ist, als der Feldstecher meines Schwiegervaters. Ich wollte euch von der Musik, dem Komponisten, der Choreographie und dem Choreografen, den Tänzern und dem Stück erzählen, von dem elegant gekleideten Publikum und meinem Spaß berichten – und der wenig genutzten Möglichkeit, sich für die Pause einen Tisch mit Essen und Getränken zu reservieren, für gerade mal 1,50€ pro Gedeck extra! Erschwinglich wenn man bedenkt, dass man sonst die wertvolle Zeit an der Schlange verbringt und anschließend im Stehen trinkt, statt sich an den gedeckten Tisch zu setzten, zu entspannen und auszutauschen.

Aber es ist müßig, darüber zu reden. Mein Mann hat gesagt, für Muße bedarf es Disziplin. Man MUSS sich die Zeit einfach nehmen. Jetzt schließt sich der Kreis also wieder und zur Muße muss man sich zwingen. Schreiben wir es doch auf die To-do-Liste!

 

Alles Liebe

Eure Isi

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4 Comments
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Gushurst
Gushurst
6 Jahre her

Wie wahr- du triffst es auf den Kopf- eine to-want-Liste mit dem To-do mindestens eine To-want pro Monat abzuarbeiten
Toll geschrieben Isi Lg anne

Gerd Kuhrau
Gerd Kuhrau
5 Jahre her

„Muße! Die Kombination aus freier Zeit und Ruhe klingt zu verführerisch. Würde sie mir auf der Straße begegnen, würde ich mich ihr sofort hingeben.“ Lass mich deine Muße sein …